Glaube will singen
Von der Notwendigkeit der ständigen Erneuerung des geistlichen Liedgutes
Die Fähigkeit, Musik zu machen und sich mittels Musik und Gesang auszudrücken gehört wohl zu den ältesten kulturellen Errungenschaften des Menschen. Bereits in der griechischen Antike war man sich der pädagogischen und therapeutischen Wirkung von Musik und Gesang bewusst: Rhythmus und Harmonie dringen in die Seele und beeinflussen sie.
In allen großen Kulturen und Religionen ist Musik aber auch ein Weg der Begegnung zwischen Mensch und Gott.
Dabei spielen sowohl Instrumentalmusik als auch vom Wort getragene Musik eine wichtige Rolle vor allem in der Feier der zum Gotteslob versammelten Gemeinde. So zeigt auch ein Blick in die Bibel, dass Musik und Gesang ein selbstverständlicher Teil des Gottesdienstes des Volkes Israel sind.
Gesang ist Dialog
Interessant ist, dass das Neue Testament und das, was wir von der Praxis der frühchristlichen Gemeinden wissen, wenig Greifbares im Blick auf eventuell verwendete Musikinstrumente bringt, aber eine sehr deutliche Akzentsetzung auf das (gesprochene und gesungene) Wort der Verkündigung deutlich wird. Das Singen der Gemeinde vollzieht sich dabei gleichsam in zwei Richtungen; die lobende Bewegung zu Gott oder Christus hin, und die Bewegung zur Gemeinde hin mit dem Zweck der Erbauung. Das einzelne Gemeindemitglied „singt den anderen zu“. Der Gesang des einzelnen wie der versammelten Gemeinde gilt zugleich aber auch Christus, es ist ein Mit-Christus-im-Gesang-Sein und ein Mit-der-Gemeinde-im-Gesang-Sein.
Dieses Singen gilt dem Neuen Testament als Geist-bewegtes Handeln: der Geist ist die Antriebskraft des christlichen Singens (wie z.B. auch im Gesang des Magnificat deutlich wird).
Als lebendiges Dialoggeschehen zwischen Menschen und zwischen Menschen und Gott wird dieses Singen in der Liturgie immer auch ein Spiegel des Gottesbildes und des Menschenbildes einer Generation sein. Im Singen findet die Theologie die Sprache des Volkes.
Martin Luther war z.B. einer, der leidenschaftlich dafür eintrat, die Theologie zu singen. Er griff dazu Melodien auf, die im Volk und auf den Straßen gesungen wurden („dem Volk aufs Maul geschaut“) und gab ihnen neue Worte. Musikalische Ausdrucksformen sind ja dem Wandel der Zeit unterworfen und jede Zeit und jede Kultur bringt auf diesem Gebiet Neues hervor. Die große Herausforderung für jeden Komponisten und Autor zeitgemäßer christlicher Lieder liegt also nicht darin, eine zeitgemäße musikalische Form zu finden, sondern wie die alten Wahrheiten in eine zeitgemäße Sprache zu übersetzen sind.
Das Neue Geistliche Lied
Es ist verständlich, dass eine theologische Aufbruchssituation wie sie das 2. Vatikanische Konzil einleitete, fast zwangsläufig auch neues Liedgut hervorbrachte. Es waren dabei durchwegs in der liturgischen Praxis stehende und um neue sprachliche und musikalische Ausdrucksformen ringende Priester, Pastoren und auch Laien, die an der Wiege des sogenannten „Neuen Geistlichen Liedes“ standen: Alois Albrecht, Friedrich Karl Barth, Wilhelm Willms, und andere Texter und als musikalischer Motor natürlich Peter Janssens.
Mittlerweile sind viele dieser Lieder auch schon wieder 30 - 40 Jahre alt und man könnte fast meinen, es gäbe inzwischen nicht viel Neues mehr, wie ja auch von der Theologie (zumindest kirchenoffiziell) eher der Eindruck von Stillstand, ja Rückschritt, als von Fortschritt vermittelt wird.
Fritz Baltruweit, selbst aktiver Autor und Komponist neuer geistlicher Lieder tritt dennoch weiter für den Begriff des „Neuen Geistlichen Liedes“ ein: „Hinter dem Begriff steht nach meinem Dafürhalten ein theologischer Anspruch. Ich möchte das Attribut ‘neu’ weniger auf das Liedalter bezogen wissen, sondern auf den Anspruch, dass das Lied eine Aussage macht, die einen theologischen Sachverhalt verständlicher und damit zugänglich macht und insofern ‘neu’ ist. Das kann sich etwa darin zeigen, dass alte Wahrheiten wiederentdeckt und wiederbelebt werden, oder dass Gedanken überhaupt neu gefunden werden. Das hat etwas mit dem zu tun, was wir ‘Kontextuelle Theologie’ nennen.“
Gemessen an diesem Anspruch ist tatsächlich von manchem Aktuellen zu sagen, dass es einem solchen Kriterium „neu“ nicht entspricht. Wir haben darum auch beschlossen, bei der Auswahl der Lieder uns vor allem die Texte sehr genau anzuschauen.
Hans Waltersdorfer
(veröffentlicht in: das GESPRÄCH 2005-1)
Hans Waltersdorfer, selbst Verfasser zahlreicher Neuer Geistlicher Lieder, reflektierte in der Sammelphase die Notwendigkeit, neben wertvollen alten Liedern auch immer wieder "Neue Lieder" für die Liturgie zu erschließen.